Der frühere Behördenchef Wolf-Dieter Rothmaler über das Amtsgericht Schlüchtern

Im Interview erklärt der frühere Chef des Schlüchterner Amtsgerichts, Wolf-Dieter Rothmaler, warum der Verbleib der Behörde, die nach Plänen des Landes Ende 2011 geschlossen werden soll, für die Region so wichtig ist.

 

In einer Straßenumfrage haben Passanten erklärt, dass sie sich noch nie etwas haben zuschulden kommen lassen und ihnen dementsprechend die Zukunft des Amtsgerichtes fast gleich sei. Warum ist diese Aussage nach Ihrer Meinung zu kurz gegriffen?
Es herrscht große Unkenntnis über die Bedeutung des Gerichtes. Man kann schließlich ganz schnell in Berührung mit ihm kommen. Zum Beispiel, wenn man Zeuge eines Autounfalls wird. Aber Verhandlungen sind ja nur ein kleiner Teil des Aufgabengebietes der Behörde. Es gibt noch viel mehr: Erleidet zum Beispiel ein Mensch einen Schlaganfall und kann sich nicht artikulieren, wird das Amtsgericht tätig und ernennt einen Betreuer, der Entscheidungen treffen muss. Oder das Opfer eines Unfalls ist ohne Bewusstsein und muss operiert werden. Dann muss ebenfalls ein Betreuer vom Amtsgericht bestellt werden. Der muss dann sein Okay zum Eingriff geben. Auch werden vom Amtsgericht Erbscheine ausgestellt, es kümmert sich um die Nachlasssicherung bei Verstorbenen ohne Angehörige.

Warum fordern Einrichtungen wie Polizei, Psychiatrie und Senioreneinrichtungen so vehement den Erhalt des Amtsgerichtes?
Wir haben gegenwärtig im Zuständigkeitsbereich Schlüchtern 1102 anhängige Verfahren der zuvor genannten Betreuungsfälle. Hinzu kommen 600 Fälle von Unterbringungen psychisch Kranker, die andere oder sich selbst gefährden. Diese Unterbringung muss von einem Richter angeordnet werden. Gleiches gilt für die Fixierung eines alten und/oder kranken Menschen im Bett. Auch eine Blutprobe kann nur richterlich angeordnet werden. Nun kann man sich wohl gut vorstellen, wie kompliziert das für alle wird, wenn in Zukunft jedes Mal ein Richter in Gelnhausen kontaktiert werden muss.

Was bedeutet eine Schließung für die Stadt? Und sind Sie mit der Reaktion seitens der Bürger und der Stadt zufrieden?
Es wäre für Schlüchtern ein großer Prestigeverlust. Eine weitere Landesbehörde wäre nicht mehr vorhanden. Die Schlüchterner Bevölkerung und ihre Kommunalpolitiker begehren dagegen auf. Das ist gut so. Kein schöner Zug war es von einigen heimischen CDU-Kreistagsmitgliedern, dass sie sich bei der Abstimmung im Parlament nicht für den Erhalt des Gerichtes eingesetzt haben. Mit Enthaltungen oder Fernbleiben beim Votum kommen wir hier nicht weiter.

Nun hat sich ein parteiunhabhängiger Arbeitskreis zum Erhalt des Gerichtes gegründet, dem Sie auch angehören. Was sollen die ersten Schritte dieser Gruppierung sein?
Wir müssen hervorheben, wie wichtig das Gericht ist. Das wird mit Schreiben an die Landtagsabgeordneten geschehen. Es sind auch noch öffentliche Aktionen in Planung.

ZUR PERSON
Von 1975 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004 war Wolf-Dieter Rothmaler Direktor des Amtsgerichtes Schlüchtern. Zuvor arbeitete er von 1968 bis 1975 in Hanau als Zivilrichter. Rothmaler wurde 1939 in Kassel geboren, sein Jurastudium absolvierte er in Marburg und Berlin. Seit seiner Pensionierung ist Rothmaler kommunalpolitisch für die CDU aktiv. Im Schlüchterner Parlament ist er Stadtverordnetenvorsteher. Rothmaler ist verheiratet, geht in seiner Freizeit gerne laufen und betätigt sich noch in einem weiteren Ehrenamt: Er ist Vorsitzender des Bundes gegen Alkohol im Straßenverkehr Südhessen. So ganz ohne Juristerei geht auch nicht – er ist Vorsteher des Ortsgerichtes. /sr

Kommt der Protest nicht zu spät?
Das mag einem so vorkommen. Aber man darf nicht vergessen, das wir vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Die Entscheidung wurde verkündet und seitdem zeigt sich Minister Jörg-Uwe Hahn nicht sonderlich einsichtig. Dabei muss man sich vorstellen, dass bei der Schließung des Gerichtes lediglich 200.000 Euro eingespart würden. Das ist ein lächerlicher Betrag zu dem, was das Land sonst ausgibt.

Viele sagen, dass über eine Schließung des Amtsgerichtes nicht diskutiert werden müsste, wenn man damals dem Bau einer Justizvollzugsanstalt in Schlüchtern zugestimmt hätte.
Das habe ich auch lange Zeit behauptet. Heute habe ich gelernt, dass es anders ist. Wenn ich so sehe, mit welcher Energie die Schließung des Gerichtes betrieben wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass Herr Hahn sich an Zusagen von einem seiner Vorgänger gehalten hätte.

Gibt es noch eine reelle Chance auf den Erhalt des Gerichtes?
Sie ist noch vorhanden, wenn auch nicht sonderlich groß. Aber wir haben schließlich eine Kommunalwahl vor uns. Vielleicht erhält der Minister zuvor noch einige Eingebungen, wenn er ein gutes Ergebnis erreichen will.

Von unserem Redaktionsmitglied
Steffen Reith

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