„Schildbürgerstreich ohne rationale Begründung“ – in Sachen Amtsgericht Schlüchtern ist das letzte Wort noch nicht gesprochen

Foto: Hanns Szczepanek/KNDie CDU rief und auch SPD-Mandatsträger kamen, um darüber nachzudenken, wie man gemeinsam gegen die CDU-geführte Landesregierung vorgehen könne, um das beschlossene Aus für das Schlüchterner Amtsgericht noch zu revidieren. Rund 80 Bürgerinnen und Bürger folgten am 19. Oktober dem Aufruf von Rechtsanwalt Hans Konrad Neuroth, Vizelandrat Günter Frenz und dem früheren Direktor des Amtsgerichts Wolf-Dieter Rothmaler (v. rechts; Foto: Hanns Szczepanek) und diskutierten mit den drei Herren die verbliebenen Möglichkeiten, um für den Erhalt des seit fast 180 Jahren bestehenden Gerichtsstandortes zu kämpfen.

Angeblich ist die Entscheidung von Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) zwar unumkehrbar, aber wie Beispiele andernorts zeigen, kann sich Widerstand durchaus bezahlt machen. Allerdings wurde dort schon wesentlich früher massiv reagiert. So berichtete eine Rechtsanwältin aus Seligenstadt, daß dort die Schließung des Amtsgerichts durch öffentlichen Druck erfolgreich habe verhindert werden können. Den Schlüchternern schrieb sie ins Stammbuch, daß hier der politische wie auch der bürgerschaftliche Widerstand viel zu zaghaft sei. Es müssten sich wesentlich mehr Bürger beteiligen. „Die bisherigen 1.300 Unterschriften sind zu wenig. Es müssen noch mehr Leute für den Erhalt des Gerichts eintreten“ (s.a. Umfrage unten).

Die Argumente

Rechtsanwalt Neuroth, zugleich Vorsitzender der Schlüchterner CDU, unterstrich die Notwendigkeit, dass ein Amtsgericht bürgernah und damit auch wohnortnah zu sein habe. „Das Recht darf nicht in weite Ferne rücken“ rief er den Anwesenden vor Augen. Der Gerichtskahlschlag in den ländlichen Regionen Hessens verstoße überdies gegen den „Justizgewährungsanspruch“ der Bürger. Neuroth wies noch darauf hin, daß möglicherweise auch die Gewaltenteilung im demokratischen Staat in Schieflage gerate, wenn die Legislative die Präsenz der Judikative derart beschneide.

Auch das Kostenargument, mit dem die Schließungsorgie des Justizministers begründet wird, ließ Neuroth nicht gelten. „Unterm Strich würde in Schlüchtern gar nichts gespart.“

Noch einen Schritt weiter ging Vizelandrat Günter Frenz. Er halte die Schließung des einzigen Gerichts zwischen Gelnhausen und Fulda für eine Fehlentscheidung, von der er sich energisch distanziere. Bisher sei überhaupt „kein rationales Argument dafür“ vorgetragen worden, was mit der Schließung gewonnen werden könne. Gerade im Amtsgericht Schlüchtern falle viel Arbeit an. Fakt sei u.a., dass es im Jahre 2009 allein 353 Verfahren zu Zwangseinweisungen in die Psychiatrie gegeben habe, seit Januar dieses Jahres bereits mehr als 400. In diesen Fällen müsse jeweils binnen 24 Stunden ein Richter zu einer Anhörung vor Ort sein. Durch das Kreiskrankenhaus und die Seniorenzentren seien derzeit rund 1100 betreuungsrechtliche Verfahren in Schlüchtern anhängig. Ein solches Gericht schließen zu wollen, offenbare unausgegorene Logik und gleiche „einem Schildbürgerstreich“, so Frenz.

Ein konkretes Ergebnis des Abends war die Bildung eines Komitees für weitere Protestaktionen, zu welchem sich spontan mehrere Zuhörer bereiterklärten, darunter die Psychiatrie-Chefärztin Dr. Susanne Markwort, eine der Hauptbetroffenen der avisierten Schließung.

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UMFRAGE:

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3 Antworten zu „Schildbürgerstreich ohne rationale Begründung“ – in Sachen Amtsgericht Schlüchtern ist das letzte Wort noch nicht gesprochen

  1. Kastner schreibt:

    Die Inititiative zur Erhaltung des Amtsgerichts Schlüchtern zeigt eines mal wieder ganz deutlich: Es ist noch lange nicht das erforderliche Bewusstsein bei den Bürgerinnen und Bürgern und bei den Kommunlpolitikern eingetreten, dass wir rigoros sparen müssen. Noch immer gilt der Grundsatz: „Sparen natürlich, aber bitte nicht bei mir“. Das ist nichts anderes als das Sankt Florians-Prinzip! Schade ist, dass die CDU Schlüchtern auf genau diesen Zug aufspringt – vermutlich weil Kommunalwahl ist. Und mal ganz im Ernst: Der durchschnittliche Bürger ist von dieser Entscheidung so gut wie nicht betroffen. Der durchschnittliche Bürger hat nämlich nur alle 3 Jahre einmal mit dem Amtsgericht zu tun und dann ist die Fahrt nach Gelnhausen absolut zumutbar. Dass sich ein Schlüchterner Anwalt nun über die Gerichtsschließung echaufiert ist verständlich, denn sein Arbeitsweg verlängert sich deutlich. Diese Argumentation kann der Gesamtsache aber nicht zuträglich sein.

  2. HKN schreibt:

    Lieber Herr Kastner,

    wenn tatsächlich mit der Schliessung des Amtsgerichts etwas eingespart würde, was nicht der Falle ist, hätten Sie recht – so aber gerade nicht.

    Im Übrigen macht es für einen Anwalt in heutiger Zeit keinen Unterschied, ob er von Steinau – das ist nämlich mein Dienstsitz – nach Schlüchtern oder beispielsweise nach Gelnhausen fahren muß .

    Gerne lade ich Sie ein , am morgigen Donnerstag (4.11.2010) um 15.00 h in das Cafe Egner in Schlüchtern zu kommen, um mit mir offen aber auch sachlich zu diskutieren.
    Ich freue mich auf ihr Erscheinen.

  3. Kastner schreibt:

    Sehr geehrter Herr Neuroth,

    ich gehe mal davon aus, ihre Einladung zu einem Gespräch unter der Woche um 15.00 Uhr war nicht ernst gemeint. Zu dieser Zeit trage ich nämlich wie viele andere Millionen Arbeitnehmer etwas zum deutschen Wirtschaftswachstum bei.

    Aber zurück zur Sache. In Ihrer Stellungnahme sagen Sie, es würde nichts eingespart werden. An einer anderen Stelle ist von 200.000 Euro die Rede. Wieder an einer anderen Stelle heißt, durch die Schließung enstünden Kosten, die viel höher seien als die Einsparungen. Ich bitte Sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger KONKRET darüber zu informieren, an welcher Stelle und in welcher Höhe die Gerichtsschließung den Staat Geld kostet. Ich persönlich kann mir das ehrlich gesagt per Saldo nicht vorstellen, da ja sogar der Rechnungshof die Gerichtsschließung befürwortet.

    Ihre Partei will doch Ende März die Schuldenbremse in die Verfassung bringen. Wie soll diese bei dieser Mentalität eingehalten werden?

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